Die Schweiz braucht einen starken Service public im Medienbereich

Die Schweizerische UNESCO-Kommission empfiehlt, die „No-Billag-Initiative“ abzulehnen, welche die Grundsätze der Vielfalt und Solidarität in Frage stellt. In einer Zeit, in der Bürgerinnen und Bürger Gefahr laufen, sich in einer Informationsblase einzuschliessen, welche nur eine sehr partielle Vision der Realität zulässt, ist eine ausgewogene Berichterstattung umso wichtiger. Die Kommission erhofft sich eine klare Ablehnung der Initiative und appelliert an die Politik, zukunftsweisende Regeln für den Schweizer Medienplatz zu erlassen. Diese Regeln müssten einen starken Leistungsauftrag für die SRG beinhalten, damit qualitativ hochwertige Inhalte entwickelt werden können.

Kernaufgabe der UNESCO ist es, den Frieden im Geist der Menschen zu verankern. Die Mittel dazu sind Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Im Bereich der Kommunikation setzt sich die UNESCO seit jeher für einen unabhängigen und pluralistischen Service public im Medienbereich ein. Aus Sicht der UNESCO sind unabhängige Radio- und Fernsehsender, die frei von politischer Einflussnahme und kommerziellem Druck operieren, von zentraler Bedeutung für eine funktionierende Demokratie. Die Schweizerische UNESCO-Kommission empfiehlt daher, der Stellungnahme des Bundesrates und des Parlaments zu folgen und die „No-Billag-Initiative“ abzulehnen, welche die Prinzipien der Vielfalt und der Solidarität in Frage stellt.

Unsere Gesellschaft steht vor grossen globalen Herausforderungen: Dazu gehören das Wiederaufleben nationalistischer Strömungen, die Schwächung der multilateralen Zusammenarbeit, Fortschritts- und Bildungsfeindlichkeit, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft, massive Migrationsbewegungen, die zunehmende Ablehnung der kulturellen Vielfalt, Umweltzerstörung, die Manipulation von Informationen (Fake News) und Zweifel an den Leistungen der Wissenschaft.

In ihrer ersten Rede als UNESCO-Generaldirektorin schrieb Audrey Azoulay unsere Unfähigkeit, diese Entwicklungen zu verhindern, einer kollektiven Fehlleistung zu: der mangelnden Wertschätzung des Wissens, der Verleugnung universeller Werte und dem Ausbleiben einer globalen und humanistischen Antwort. «In diesem Moment der Wahrheit […] war die UNESCO noch nie so notwendig wie heute», so ihr Fazit. Und anzufügen wäre: Noch nie war der Service public im Medienbereich so notwendig wie heute.

Unabhängige, unparteiische, sachdienliche und relevante Informationen sind die Grundlage staatsbürgerlicher Teilhabe

Die Vielzahl der heutigen Kommunikationskanäle fördert die freie Meinungsäusserung, bietet aber keine Gewähr für Objektivität. Umso wichtiger ist es, dass unabhängige, unparteiische und vertrauenswürdige Medien verfügbar sind, die den Informationsbedarf der Öffentlichkeit decken.

Der Service public im Medienbereich geniesst in der Schweiz eine hohe Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit beruht auf dem stetigen Bemühen um Objektivität und Unparteilichkeit. Die aktuelle Berichterstattung soll erklären, in die Tiefe gehen und Zusammenhänge aufzeigen. Sie lässt unterschiedliche Standpunkte zu Wort kommen und fördert damit die politische Meinungsbildung. Dies ist grundlegend in einem direkt-demokratischen Land wie der Schweiz.

Die Zunahme der Informationskanäle, die den Regeln des journalistischen Berufsethos nicht standhalten, und die wachsende Bedeutung der sozialen Netzwerke, auf denen alle ihre Ansichten kundtun und teilweise haltlose Informationen – ja sogar Unwahrheiten und Diffamierungen – verbreiten können, sind der demokratischen Meinungsbildung nicht förderlich. Deshalb ist es wichtig, dass unabhängige Medien mit Anspruch auf journalistische Qualität, die der Recherche und der Wahrhaftigkeit verpflichtet sind, als Bezugspunkt zur Verfügung stehen. Und angesichts der zunehmenden Medienkonzentration wird der Beitrag des Service public zur Diversität immer wichtiger.

Das Informationskonzept des Service public erfordert allerdings erhebliche journalistische Ressourcen, die für private Radio- und Fernsehsender im kleinräumigen Schweizer Markt ausser Reichweite liegen. Aus diesem Grund brauchen und verdienen diese Medien öffentliche Subventionen, wenn sie einen Informationsauftrag erfüllen.

Wichtiger Bildungsauftrag

In einer Zeit, in der sich praktisch alle Bereiche rasant verändern, einer Zeit, in der eine nachhaltige Entwicklung, wie sie in der Agenda 2030 beschrieben ist, unerlässlich ist, muss ein Raum, in dem die anstehenden Probleme und Herausforderungen debattiert werden können, erhalten bleiben, wenn nicht sogar gestärkt werden. Die direkte Demokratie braucht informierte Bürgerinnen und Bürger, die über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Demokratische Entscheide, welche Weichen für die Zukunft stellen, sollten sachlich fundiert sein und auf einem vertieften Verständnis der heutigen Welt basieren.

Ein qualitativ hochwertiger audiovisueller Service public stellt eine wichtige Grundlage für die persönliche Entwicklung dar und ist ein wesentlicher Bestandteil des informellen Bildungsprozesses im Dienste der Bevölkerung – die Vorteile der Wissensgesellschaft müssen für alle Menschen zugänglich sein; das ist ein Grundrecht. Die Aufbereitung und Verbreitung von Inhalten, welche den Wissensaustausch fördern, gehört effektiv zu den Aufgaben eines Service public.

Eine lebendige Kultur und ein Beitrag zum kulturellen Verständnis

Gemäss UNESCO «hat die Kultur das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern. Das kulturelle Erbe wirkt identitätsstiftend und begünstigt den Zusammenhalt von Gemeinschaften, die durch rasante Veränderungen und wirtschaftliche Instabilität gespalten sind. Kreativität trägt zum Aufbau einer offenen, inklusiven und pluralistischen Gesellschaft bei. Kulturelles Erbe und Kreativität sind beide an der Schaffung dynamischer, innovativer und erfolgreicher Wissensgesellschaften beteiligt».

In unserer „Willensnation“ welche verschiedene Sprachgemeinschaften vereint, die zusammenleben wollen, ohne sich immer zu verstehen, aber auch angesichts der zahlreichen Menschen aus anderen Regionen der Welt, die sich in unserer Kultur zurechtfinden sollen und gleichzeitig die kulturelle Vielfalt unseres Landes bereichern, ist die Rolle des Service public besonders wichtig. Es gilt den kulturellen Austausch zu fördern, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen und möglichst viele Menschen am kulturellen Reichtum unseres Landes teilhaben zu lassen, wie auch die Offenheit gegenüber anderem Kulturschaffen zu fördern.

Themen wie Kunst, Kulturerbe und Kultur anzusprechen, die Vielzahl der kulturellen Ausdrucksformen bekannt zu machen durch die Verbreitung bestehender Werke und vor allem durch die Erschaffung von neuen eigenständigen Produktionen zu unterstützen, trägt zu einer lebendigen Kultur bei. Diesen Auftrag kann einzig der Service public erfüllen, da die kommerziellen Anreize dafür nicht gegeben sind.

Förderung der nationalen audiovisuellen Produktion

Unterhaltung und Fiktion können als Grundlage für eine indirekte Vermittlung der Grundwerte unserer Gesellschaften dienen. Sie sind mächtige Werkzeuge zur Unterstützung der gesellschaftlichen Entwicklung, aber besonders teuer. Vor dem Hintergrund eines starken internationalen Wettbewerbs hat der Service public der Schweiz eine zentrale und elementare Aufgabe: Er fördert die Unterhaltung und Fiktion im audiovisuellen Bereich in der Schweiz, indem die Arbeit von lokalen Künstlern und Produzenten unterstützt wird und die Talente unseres Landes gewürdigt werden, auch im Bereich des Sports.

Um seine verschiedenen Aufträge zu erfüllen, muss der Service public einen Grossteil der ausgestrahlten Inhalte selbst produzieren oder produzieren lassen. Die Medienwelt und die Mediennutzung sind einem raschen Wandel unterworfen. Die Formen der Mediennutzung werden immer vielfältiger. Die Herstellung von Eigenproduktionen ist allerdings teuer und kann deshalb nur schwer ausgeweitet werden.

Die Gratiskultur erschwert die Produktion neuer Inhalte zusätzlich, vor allem in der Schweiz mit ihrem kleinen, vielsprachigen Markt. Die Produktion von Inhalten für die Schweizer Bevölkerung und für die verschiedenen Landesteile wird eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein. Der hauptsächlich gebührenfinanzierte Service public ist ein zentraler Akteur in diesem Bereich und wird dies auch bleiben.

Schlussfolgerung

Um die oben dargelegten Herausforderungen meistern zu können, ist die Schweiz auf starke Medien und insbesondere auf einen starken Service public angewiesen. Die Annahme der „No-Billag-Initiative“ würde ein mediales Trümmerfeld mit unabsehbaren Konsequenzen hinterlassen.

Bleibt zu hoffen, dass das Schweizer Stimmvolk der Initiative eine wuchtige Absage erteilt. Sollte sie angenommen werden, wären die Menschen hierzulande die ersten Leidtragenden, und letztlich würden die multikulturelle Schweiz und die direkte Demokratie massiven Schaden nehmen.

Auch wenn die Initiative – wie erhofft – abgelehnt wird, wünscht die Schweizerische UNESCO-Kommission, dass die Diskussion um die Zukunft des Service public im audiovisuellen Bereich offen bleibt. Die Kommission ist sich sehr wohl der Probleme des Service public innerhalb der Informationsgesellschaft bewusst und nimmt auch die Herausforderungen wahr, welche sich durch die digitale Revolution stellen. Die Politik muss in dieser Thematik aktiv werden und klare zukunftsweisende Regeln sowie eine wirksame Strategie für die gesamte audiovisuelle Produktion und den Schweizer Medienplatz zu erarbeiten. Diese Regeln müssten einen starken Leistungsauftrag für die SRG beinhalten, damit qualitativ hochwertige Inhalte entwickelt werden können. Und – träumen ist erlaubt – die Schweizer Spielfilmproduktion Aufwind bekommt.