Recht auf Bildung ab Geburt

Über 60% der Kinder von 0-3 Jahren wuchsen 2014 ausschliesslich in der Familie, Nachbarschaft oder in privaten Arrangements z.B. Grosseltern, Nannies, Tageseltern auf. 20% nutzten teilweise und weitere 20% ganz eine familienergänzende Betreuung durch Institutionen. Die privat zu tragenden Kosten für die ausserfamiliären Angebote gehören europaweit zu den höchsten. Die Frage, was Kinder in dieser Phase ihres Lebens lernen oder verpassen, wird öffentlich nicht gestellt. Viele glauben, das sei eine ausschliesslich private Angelegenheit. Andere setzen sich ein für Bildung und förderliche Bedingungen, welche auch vom Staat mitgetragen werden.

Positive Lebensumstände fördern die Hirnentwicklung beim kleinen Kind. Widrige Lebensumstände und Ereignisse in der frühen Kindheit können nachteilige Folgen haben, sagt die Basler Neurowissenschaftlerin Dr. Nora Maria Raschle. Kinder sind also schon längst geprägt, bevor sie in die Schule kommen.

Die Schule muss mit den unterschiedlichen Entwicklungschancen und dem Entwicklungstand, welche Kinder mitbringen, abholen. Eigentlich ein Grund, besser hinzuschauen, was getan werden kann und muss, damit alle Kinder ab Geburt förderliche Lebensumstände haben. Eigentlich ein Grund, dass Gesellschaft und Staat alles daransetzen, sämtliche Kinder mit guten Startchancen ins Leben zu begleiten und Chancengerechtigkeit herzustellen. Es geht nicht nur um die Betreuung, damit Eltern arbeiten gehen können. Es geht auch um altersgemässe und kindgerechte Bildung.

Die Staats- und Regierungschefs der 193 UNO-Mitgliedstaaten haben daher 2015 im Rahmen der globalen Nachhaltigkeitsziele (Agenda 2030) beschlossen, dass bis 2030 sichergestellt sein soll, dass alle Mädchen und Jungen den Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung haben, die ihnen einen erfolgreichen Übergang in die Schule ermöglichen (SDG 4.2).

Was tut die Schweiz? Viele private Initiativen, Stiftungsaktivitäten und das Engagement einzelner Gemeinden, Städte und Kantone sind in den letzten 10 Jahren entstanden. Kampagnen wie Ready! oder die Wanderausstellung „Die Entdeckung der Welt“ sind im Gange. Das nationale Parlament hat schon länger eine Anschubfinanzierung für Kindertagesstätten sowie letztes Jahr auch einen Kredit zur Verbilligung von Betreuungsplätzen beschlossen. Auch Bundesämter liefern Impulse zugunsten der besseren Integration der Kinder aus migrantischen Familien etwa oder zugunsten der Armutsbekämpfung durch familienergänzende Angebote. Die Schweizerische UNESCO-Kommission setzt sich mit vollen Kräften für die Umsetzung des globalen Bildungsziels im Rahmen des Aktionsplans Bildung 2030 ein.

Ein starkes Zeichen hat nun aber zu Beginn dieses Jahres die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur gesetzt. Sie will im Kinder- und Jugendförderungsgesetz auch die Kinder von 0–4 integriert wissen, sie waren bisher ausgeschlossen. Eine entsprechende parlamentarische Initiative wurde zuhanden der ständerätlichen Kommission überwiesen. Nimmt diese die Initiative ebenfalls an, kommt das Geschäft ins Parlament.

Das Jahr hat gut begonnen.

Heinz Altorfer, Mitglied Schweizerische UNESCO-Kommission