Immaterielles Kulturerbe, Museumsprojekte und urbanisierte Gesellschaften

Museen sollen noch vermehrt zu Orten des gesellschaftlichen Dialogs werden, sollen konfrontieren und dekonstruieren, zu Kreativität und Partizipation anregen und mithelfen, gesellschaftliche Visionen zu entwickeln. Dies das Fazit einer internationalen Expertentagung vom September in Bern.

Die UNESCO hat vor bald 50 Jahren einen Fokus auf Kultur- und Naturerbe und, angestoßen von Indigenenbewegungen, erst 2003 auf das immaterielle Kulturerbe (IKE) gesetzt. Was ist immaterielles Kulturerbe? Darunter werden vor allem soziale Praktiken und gemeinschaftliche Konzepte verstanden, aber auch besondere Kenntnisse und Fähigkeiten. Im Unterschied zu den Denkmälern des Kulturerbes verändert sich jedoch immaterielles Kulturerbe ständig und es muss immer wieder daran erinnert werden, dass z.B. in Mitteleuropa nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen bereits im 19. Jahrhundert viele Traditionen gerade im urbanen Kontext wiederbelebt wurden. Auch Instrumente, Artefakte und das sogenannte objet témoin gehören laut Definition des UNESCO-Abkommens zum immateriellen Kulturerbe, Zeugen, die vermehrt in Museen als Teil des mehr oder weniger kollektiven Gedächtnisses bedeutend sind.

In der Schweiz wird das immaterielle Kulturerbe auch als lebendige Traditionen bezeichnet und Traditionen sind Ausdruck von Erfahrungen, welche heutigen und kommenden Gemeinschaften das Fortbestehen erleichtern sollten. Das versuchen auch Museen, indem sie durch das Verstehen von durch Artefakte belegter Geschichte und Geschichten gesellschaftliche Erfolge und Fehlleistungen aufzeigen und damit das Rüstzeug anbieten, um die Zukunft besser zu bewerkstelligen. Urbanisierte Gesellschaften – dazu gehören immer mehr auch Menschen in ländlichen Räumen – zu Schnelllebigkeit, zunehmender Mobilität und zu Beschleunigung tendierend, sind besonders auf diese vertiefende Zeitachse angewiesen.

„Immaterielles Kulturerbe, Museumsprojekte und urbanisierte Gesellschaften (IMP and urbanised societies)“, das Thema einer internationalen Expertentagung im September in Bern, machte denn auch diese Herausforderungen deutlich. Wie können kulturelle Praktiken, geteiltes Wissen und Fähigkeiten, die kulturelle Teilhabe an sich gefördert werden und sich dem schnellen Wandel stellen? Und wie können sie sich gezielt anpassen, um in sich verändernden Gemeinschaften und Gruppen, gemeinsame Werte, gesellschaftliche Normen und Identitäten zu fördern und den sozialen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Zusammengehörigkeit stärken?

Museen können ihrer Aufgabe in diesem Zusammenspiel nur gerecht werden, wenn sie wirklich Orte des gesellschaftlichen Dialogs werden und ihren Platz in Bildung und lebenslangem Lernen behaupten. Sie müssen konfrontieren und dekonstruieren, zu Kreativität und Partizipation anregen und vielleicht sogar mithelfen, gesellschaftliche Visionen zu entwickeln. Der kulturgemeinschaftliche Alltag findet in seiner vollen Lebendigkeit, ständiger Veränderung und hoffentlich gesellschaftlicher Vielfalt jedoch dann ausserhalb von Museen statt.

Thomas Psota, Mitglied der Schweizerischen UNESCO-Kommission