Digitalisierung: Herausforderung für Leben und Umwelt

Die ökologischen und menschlichen Folgen der zunehmenden Digitalisierung sind eine zivilisatorische Herausforderung. Wo braucht es Grenzen, und wer kann sie setzen?

Die Digitalisierung kann Teil der Lösung der Klimaproblematik sein. Sie ist aber auch ein wichtiger Verursacher von Treibhausgasemissionen, und sie verbraucht und zerstört natürliche und energetische Ressourcen.

Die umweltschädliche Gewinnung von seltenen Erden, ihre Verarbeitung, die gesamte Kette der Herstellung, des Transports und der Bereitstellung der in IT und Telekommunikation benötigten Komponenten sowie der Export von Rohstoffen für ihre Umwandlung in elektronische Geräte und ihr Import als fertige Produkte in die Verbraucherländer, haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Ausserdem erhöht der Energieverbrauch bei der Nutzung und dem Betrieb von digitalen Infrastrukturen die Umwelt- und Klimabelastung.

Die Gesellschaft setzt bei ihrer weiteren Entwicklung und Organisation jedoch immer mehr auf IT, ohne in ausreichendem Masse zu hinterfragen, welche soziotechnischen Abhängigkeiten und Gefährdungspotenziale und welche gesundheitlichen und ökologischen Risiken damit verbunden sind. Die Digitalisierung stellt uns vor ökologische und zivilisatorische Herausforderungen, welche die Frage nach unserer Verantwortung für die Welt, die wir künftigen Generationen hinterlassen, in den Fokus rücken. Beruhen die Digitalisierungsentscheide auf einer ganzheitlichen Sicht, die kurz- und langfristige Bedürfnisse mit einbezieht und Überlegungen zur Knappheit und Endlichkeit natürlicher Ressourcen integriert? Sind sie mit dem Schutz der Umwelt und der Biodiversität vereinbar?

Dazu kommt: Die zunehmende Digitalisierung macht die Gesellschaft immer angreifbarer und abhängiger. Die Risiken der Zerstörung des Ökosystems, das die Grundlage des Lebens ist, sind komplex und nicht zu unterschätzen. Um Krisen katastrophalen Ausmasses zu verhüten, müssen diese Risiken ausgeschaltet werden. Die Bemühungen, die Digitalisierung nachhaltiger, ethischer und inklusiver zu gestalten, sind zu begrüssen, sie reichen aber nicht aus, um angemessen auf die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) und die Dringlichkeit der Klimafrage zu reagieren.

Es braucht dringend ein Umdenken bezüglich der Digitalisierung, der strategischen Ausrichtung und der Ressourcenallokation. Ebenso dringend ist die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, deren Ziel es sein sollte, zum Schutz der Umwelt und der Lebewesen, zur Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, zur Förderung von Vielfalt und Inklusion und damit zu einem Leben in Frieden und Harmonie beizutragen. Denken wir über die Welt von morgen (und damit die Welt von heute) nach, muss der Fokus auf den Grenzen des ungehinderten Ausbaus der Digitalisierung liegen.

Prof. Solange Ghernaouti
Direktorin des Swiss Cybersecurity advisory & Research Group, Université de Lausanne
Präsidentin der Stiftung SGH Institut de recherche Cybermonde
Membro della Commissione svizzera per l’UNESCO

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sollen eine Debatte auslösen. Sie liegen in der alleinigen Verantwortung des Autors und sind nicht unbedingt repräsentativ für die Meinung der Schweizerischen UNESCO-Kommission.